«Wilde Pflege»: Seit einem Vierteljahrhundert gräbt er die Erde am Schloss Wartegg in Rorschacherberg um


Mathias Thalmann kennt jeden Baum und jede Blüte. Seit 25 Jahren pflegt der Gärtner das grüne Leben vor dem Schloss Wartegg in Rorschacherberg. Jeder Frühling ist für ihn ein grosses Erwachen. Er sagt: «Aus hartem Holz kommen wieder weiche Blätter – ein Wunder.»

Gärtner Matthias Thalmann steht im Garten von Schloss Wartegg, «seinem» Refugium, in dem es blüht und grünt.
Gärtner Matthias Thalmann steht im Garten von Schloss Wartegg, «seinem» Refugium, in dem es blüht und grünt.Bild: Niklas Thalmann

Sobald Gärtner Mathias Thalmann durch das Schlosstor tritt, taucht er in eine andere Welt ein. «Die Vögel öffnen einen Klangraum», sagt er und strahlt. Auch nach 25 Jahren, die er am Schloss Wartegg sät und jätet, begeistert ihn der Frühling noch immer.

Thalmann ruht in sich. Er sitzt im Schlossgarten, die Wanderschuhe zugeschnürt, die Hände gefaltet, einen kratzigen Wollpullover am Leib. Der Geruch der Erde betöre ihn: «Wenn die Erde frisch aus dem Winter erwacht, merke ich: Es geht los.»

Dass nach jedem Winter wieder grünes Leben wächst und aus «hartem Holz weiche Blätter» spriessen, nennt der Gärtner ein «Wunder». Im Frühling freue er sich über jedes Blümchen. Sogar die Unkräuter, in voller Kraft und Blüte, schmeichelten dann seinem Gärtnerherz. Am Schloss Wartegg blühen nicht nur die Pflanzen, sondern auch der Gärtner – jeden Frühling aufs Neue.

Von A wie Ackerbau bis W wie Waldpflege

Für Thalmann markiert der Frühling das Ende einer Durststrecke. Er sagt: «Ich mag den Winter nicht besonders gerne.» Wenn es kalt ist, dimmt sich der Schlossgärtner herunter, überprüft die Anzucht und spart Energie für den Frühling. Wird es wärmer, muss er auch wochenends anrücken. Und im Sommer beginnt der Kampf gegen Unkraut, das den Schlossgarten überwuchert. In den letzten Jahren habe sein Team die Brombeersträucher erfolgreich zähmen können.

Das Repertoire eines Schlossgärtners gleicht einem gut bestückten Werkzeugkoffer. Thalmann hat Schnittblumen- und Topfpflanzengärtner gelernt. Heute pflegt er Bäume, baut Gemüse an und wirkt als Landschaftsgärtner. Auf Wartegg öffne sich ihm das ganze Spektrum des Gärtnertums. Und das ist gut so, «dann wird es nie öde».

Die Osterglocken spriessen vor dem Schloss Wartegg in Rorschacherberg.
Die Osterglocken spriessen vor dem Schloss Wartegg in Rorschacherberg.Bild: Niklas Thalmann

Fakten zum Schlossgarten Wartegg

Der Schlossgarten erstreckt sich auf 2500 Quadratmetern und ist Teil eines 130’000 Quadratmeter grossen Englischen Parks mit Blick auf den Bodensee. Die Anlage wurde 1860 geschaffen und gilt heute als nationales Gartendenkmal. Hier wachsen rund 50 Kräuter, 60 Gemüsesorten und 250 verschiedene Stauden, Sträucher und Blumen. Sie versorgen auch die Bio-Schlossküche mit natürlichen Zutaten. Einst diente der Park als Rückzugsort für Kaiserin Zita. (msc)

In der Klimakrise wachsen die Herausforderungen

Thalmann zeigt auf Baumstümpfe, von Efeu umrankt. Hier ragten Mammutbäume empor, die in den trockenen Jahresanfängen verdursteten. Erhitzt sich in der Klimakrise die Erde, wächst auch für Thalmann die Herausforderung. Alte Bäume fällen zu müssen, die er jahrelang im Wachsen begleitete, schmerze ihn.

Hinzu kommen menschliche Fehler: «40 Jahre lang war der Schlossgarten schlecht bis gar nicht gepflegt. Man hat das gute Holz rausgenommen und das schlechte stehenlassen», sagt Thalmann. Der Gärtner meint die Ulmen, die reihenweise starben. Heute ereilt die Eschen das gleiche Schicksal. Sind Bäume erst mal ausgezehrt, gibt der Hallimasche-Pilz ihnen den Rest.

«Die Zukunft fordert uns», sagt Thalmann, «und wir müssen jetzt schauen, was in 100 Jahren hier steht». Viel Zeit bleibe ihm nicht, Krokusse und Enziane zu geniessen, muss er doch wässern, graben, kompostieren und Baumarten neu komponieren. «Wilde Pflege», nennt er das. Thalmann will keinen herausgeputzten Schlosspark, sondern eine gepflegte Wildnis, in die er all seine Schaffenskraft steckt.

Sein eigener Garten verwildert, aber seine Maxime lebt

Sein eigener Garten? «Katastrophal.» Und Thalmann gefällt’s: «Ich möchte abends auch noch etwas anderes machen als gärtnern.» Thalmann liebt es, seinen Wildwuchs zu beobachten. Die Rosmarinsträucher, die sein altes Haus «einwachsen», bilden einen starken Kontrast zum Nachbarsgarten, in dem der Rasen akkurat gestutzt ist.

Lebensfeindliche Schottergärten, manche nennen sie «Gärten des Grauens», lassen Thalmann vor Langeweile gähnen: «Da würde ich einschlafen. In einem Garten braucht es Leben.» Mit Freude erfüllt ihn ein Mix aus der Schlossgarten-Natur und der Kultur in seiner Freizeit: Thalmann schnitzt, er übt sich im plastischen Gestalten, macht Musik.

Hin und wieder kann sich auch der Schlossgärtner Mathias Thalmann zurücklehnen.
Hin und wieder kann sich auch der Schlossgärtner Mathias Thalmann zurücklehnen.Bild: Niklas Thalmann

Der Schlossgärtner braucht diesen Ausgleich, spürt er doch immer mehr seine alten Knochen. Vor 25 Jahren habe er allein mit der wilden Pflege angefangen. Damals wusste er, nicht nur herausgefordert, sondern überfordert zu werden. Ein Bandscheibenvorfall liess ihn einen Gang runterschalten. Heute wälzt nicht mehr seine Muskelkraft, sondern eine Maschine den Kompost um. Dafür wisse er nun viel besser, welche Arbeit am dringlichsten sei.

Ein Lächeln kann er sich nicht verkneifen: «Aber ich übernehme mich gerne noch ein bisschen, das gehört einfach dazu.» An seiner Maxime, an Goethe angelehnt, hält Thalmann auch nach 25 Jahren noch fest: «Wer niemals ruht, wer mit Herz und Blut auf Unmögliches sinnt, der gewinnt.»

Noch habe er nicht gewonnen. Bei der wilden Pflege sei jeder Tag wichtig, nur trage sie nicht von heute auf morgen Früchte. Jeder Tag im Garten ist für Thalmann ein neuer Anfang – und gerade darin liegt für ihn das grösste Glück.


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