Die Ältesten kühlen: Wie sich Alters- und Pflegeheime in Steckborn und Frauenfeld gegen den «stillen Killer» rüsten


Hitzewellen treffen alte Menschen besonders. Wenn der Kreislauf streikt und das Durstgefühl schwindet, zählt jeder Schluck Wasser. Auch wenn es momentan gerade regnet, ein Besuch in Frauenfelder und Steckborner Altersheimen zeigt, wie sie sich auf die Gefahr von hohen Temperaturen vorbereiten.

Tritt man Ende Juli in das Steckborner Alters- und Pflegeheim, ist die Luft im Erdgeschoss kühl. Im verglasten Treppenhaus klettert die Temperatur mit jeder Stufe. Kurz vor dem Zmittag-Ansturm lüftet das Stationsteam den Speisesaal, eine Seebrise weht hinein.

In Steckborn erlebt Christian Barrucci heisse Sommer, die früher beginnen und länger andauern. Bislang konnte der Leiter des Altersheims Steckborn nur lückenhaft reagieren: «Morgens lüften wir den Wohnbereich. Sobald die Sonne die Hausfassade bescheint, lassen wir Rollläden runter, schliessen Fenster und versuchen so, die heissen Mittagsstunden zu überbrücken.» An Hitzetagen wirbeln Ventilatoren, wenn das Lüftungssystem wieder mal an seine Grenzen stösst.

Fussbäder und Klimaanlagen: So wappnet sich Steckborn

Für diesen Sommer hat Barrucci fünf mobile Klimaanlagen gekauft und dafür jeweils bis zu 2000 Franken bezahlt. Sie kühlen die Aufenthaltsräume und den Speisesaal. Die Mitarbeitenden schalten die Klimageräte vor den Mahlzeiten ab, damit sich niemand erkältet. Kühle Getränke und Speisen wie Melonen und Glace ergänzten die Erfrischungspartitur, genauso wie kalte Fussbäder, sagt der Heimleiter und fügt hinzu: «Sonnencreme und -hut stehen jederzeit bereit.»

Im Wäschereikeller grüsst eine Mitarbeiterin. Sie wuchtet kiloweise Wäsche in den Trockner und sagt mit einem Lächeln: «Mit der Klimaanlage hat uns die Leitung verwöhnt.» Hier unten werde es bis zu 35 Grad heiss, sagt Barrucci. Noch ist es kühl, aber die Mittagshitze kündigt sich an.

Der Heimleiter weiss: Nur gemeinsam lässt sich die Hitze ertragen. Wenn nur eine Person das Fenster offenlasse und zugleich den Rollladen herunterkurbele, «dann ist alles verloren». Die meisten im Team und der Bewohnenden setzten die Hitzemassnahmen konsequent um.

Das Personal weiss: Gerade für alte Menschen können zwei bis vier Grad mehr eine Frage von Leben und Tod bedeuten. Viele kollabieren, weil die Hitze ihre Vorerkrankungen verschlimmert. Einen Hitzschlag erleiden nur die wenigsten. In Hitzewellen leiden die Menschen leise: Das Atmen fällt schwer, der Stoffwechsel oder das Herz-Kreislauf-System kippt.

Die Schweiz ist besonders betroffen: Zahlen zu Hitzewellen in Europa

Ohne Klimawandel wären in zehn Tagen zwischen Ende Juni und Anfang Juli 800 Menschen in zwölf europäischen Städten an Hitzefolgen gestorben. Wegen der Klimakrise waren es 1500 mehr Tote, schätzen Forschende zweier Londoner Hochschulen in einer wissenschaftlichen Studie. Sie schreiben von 80 Prozent der Todesfälle, die Personen über 65 Jahre betreffen. Ein Bericht des UN-Umweltprogramms Unep zeigt: Die jährlichen hitzebedingten Todesfälle unter alten Menschen sind seit den 1990er-Jahren um 85 Prozent gestiegen. Die Schweizer Temperaturen stiegen seit vorindustrieller Zeit bereits um 2,8 Grad. Das liegt deutlich über dem globalen Mittel. Noch stärker steigen die Höchsttemperaturen, besonders in tiefen Lagen und in Städten. (msc)

Auch andernorts heisst es: Schatten spenden, Wasser reichen

In anderen Thurgauer Heimen ist die Hitze ebenso längst Thema. Im Pflegezentrum Stadtgarten und im Tertianum Friedau summen Klimaanlagen punktuell. Sie kühlen dort, wo Gäste verweilen oder ihre Medikamente gerichtet bekommen. Beide Frauenfelder Einrichtungen geniessen den Luxus kleiner Wäldchen vor der Eingangspforte, die natürliche Schatten werfen.

An Hitzetagen reicht das Team von Stadtgartenleiter Hansjörg Strasser den Bewohnern Tee und Wasser, bietet leichte Kost, beschattet die Zimmer und lüftet in der Nacht. Im Sommer sitzen sie unter Platanen und in der «schönsten Gartenwirtschaft Frauenfelds», wie Strasser sagt.

Ende Juli trinken dort fünf Seniorinnen Kaffee. Über die Sommerwärme freuen sie sich, wollen das Positive sehen. Ein älterer Herr schüttelt den Kopf: «Wir waren nicht gewohnt, dass die Hitze Ende Juni so lange anhält.» Heidi S. sagt: «Aber unter den Bäumen ist es kühl. Wir sitzen hier oft bis neun Uhr abends.» Nachbarin Cathrin S. übernahm die Strategie einer Freundin und schlief zeitweise unter einem leeren Bettlaken. Zudem rät sie zu einem erfrischenden Schluck alkoholfreien Sekt.

Direkt neben dem Stadtgarten liegt das Tertianum, das von Ost nach West ausgerichtet ist. Im Sommer ist nur eine Hausseite beschattet und wenig frische Luft dringt herein. Umso wichtiger ist die konsequente Schattenpolitik.

Gabriela Böhringer, Geschäftsführerin des Tertianums Friedau, greift zu denselben Hitzemassnahmen wie die Kollegen. Zudem lege ihr Personal kalte Tücher in die Nacken der Gäste und streiche körperliche Anstrengungen aus dem Programm. Weil alte Menschen das Durstgefühl vergessen oder verlieren, «animiert tagsüber im Stübli immer eine Betreuerin zum Trinken», sagt sie. Auch Böhringer spaziere durch das Haus, proste den Gästen zu und stosse mit ihnen an – «dann trinken unsere Gäste ohne Druck».

Der Tenor der Heimleitenden: In Frauenfeld und Steckborn erkenne das Pflegepersonal, wenn jemand dehydriert oder überhitzt. Der Stadtgarten warnt im Intranet vor Hitzeperioden. Im Tertianum informieren Merkblätter. Das Personal diene als Vorbild und leere jeden Tag pro Person eine Anderthalb-Liter-Flasche, sagt Böhringer.

Wo die Hitzefallen lauern

Das Steckborner Altersheim besteht seit 1973. Mit der alternden Gesellschaft wuchs auch der Platzbedarf: von 40 Betten in der Anfangszeit auf heute 72. Heimleiter Barrucci sagt: «Die Hitze hängt im Gebäude selbst, in den Betonmauern.» Es sei unmöglich, ein 50 Jahre altes Gebäude von oben herab mit mobilen Klimaanlagen runterzukühlen. «Und die älteren Bauten sind noch nicht auf dem Stand, dass wir ein Lüftungsgerät umrüsten und über die zentrale Lüftung kühlen können.»

Öffnet Barrucci eine Tür vom Glastreppenhaus, dringt ein Wärmeschwall in den Wohnbereich. Der Brandschutz verbietet es, dort ein Klimagerät zu installieren. Der Heimleiter verzichtet auf Sonnenschutzfolien, die die Wärme abblocken. Sie nutzten zu wenig dafür, dass der Aufwand schlicht zu hoch wäre. Noch teurer ist es, die zentrale Lüftung umzurüsten: «fast unbezahlbar».

Im Frauenfelder Stadtgarten unterhält Strasser zwei Häuser, von denen eines ein Altbau sei und sich im obersten Stockwerk erhitze. Der gut isolierte Neubau bereite ihm wenig Sorgen. Im Altbau bei über 30 Grad schützen UV-Folien auf den Oblichtern kaum, warnt Strasser. Sein Team prüfe weitere Baumassnahmen.

Offen bleibt, welche genau. Mobile Klimaanlagen kühlen maximal ein paar Dutzend Quadratmeter. Zudem ist ihr Energieverbrauch hoch. Und ältere Menschen reagieren sensibel auf ihre Zugluft. Eine grüne Aussenfassade könnte helfen.

Wann setzt das grosse Umdenken ein?

Immerhin: Die drei Heimleitenden wissen von keinen hitzebedingten Vorfällen in ihren Häusern. Noch. Denn einerseits steigen die Temperaturen und könnten Umbauten erzwingen. Andererseits treten immer mehr Menschen in höherem Alter und mit mehr chronischen Krankheiten in Alters- und Pflegeheime ein. Tertianum-Geschäftsführerin Böhringer mahnt: «Spätestens in zehn Jahren müssen wir aufrüsten.»

Barrucci fordert ein Umdenken: «Wir müssen lernen, mit den heissen Sommern umzugehen.» Der Anpassungsdruck sei aber noch nicht überall angekommen. Die Steckborner Stadtregierung würde hingegen auf die Bedürfnisse der Bevölkerung reagieren: «Ich erlebe die sehr offen und sehr nah an den Einwohnern und Einwohnerinnen.»

Und der Kanton? Der Thurgau will die Mortalität in Alters- und Pflegeheimen überwachen. Ab diesem Jahr soll ein kantonaler Hitzeaktionsplan die Marschroute vorgeben. Der Thurgau gehört mit Schaffhausen und St.Gallen zu den Pionierkantonen. Schon heute schafft der Stellenschlüssel, den der Kanton gemäss Pflegerichtlinien erfüllen muss, die Grundlage einer klimafesten Zukunft: Aufmerksamkeit für die, die Hitze am meisten spüren.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

EN