Ostschweizer Bergbahnen in der Klimakrise: Was hilft, wenn der Schnee fehlt


Schnee ist keine Selbstverständlichkeit mehr, der Winterzauber schwindet. Steigende Temperaturen und Ansprüche zwingen die Bahnen im Toggenburg, in den Flumserbergen und auf dem Pizol dazu, schneefreie Alternativen zu schaffen.
St. Galler Tagblatt

Ein Snowboarder in der Abfahrt vom Chäserrugg, mit Blick auf den Schafberg, im schneearmen Winter 2023.
Ein Snowboarder in der Abfahrt vom Chäserrugg, mit Blick auf den Schafberg, im schneearmen Winter 2023.Bild: Gian Ehrenzeller/Keystone

Es ist gar nicht lange her, da standen die Pizolbahnen im Sarganserland vor dem Aus. Vor sieben Jahren litten die Betreibenden unter Schneearmut und einem starken Franken, ein Minus von jährlich 600’000 Franken zwang die Bergbahnführung zu einem Sanierungsplan. Zuvor sandten sie einen Hilferuf an den Kanton und die sechs umliegenden Gemeinden. Die retteten die Bergbahnen mit gut 4 Millionen Franken.

Seitdem geht es wieder aufwärts. Im Sommer 2022 zog es eine Rekordzahl an Wandernden auf den Pizol und an seine Bergseen. Doch nicht nur die unterstützenden Gelder, die Zahl der Schneekanonen und die der Besuchenden steigen, sondern auch die Temperaturen in der Klimakrise. Weder der sommerliche Wanderboom noch die künstlich beschneiten Pisten im Winter können darüber hinwegtäuschen: Der Ski- und Schneetourismus in den Schweizer Alpen steht zunehmend auf wackligen Füssen.

Ab diesem Wochenende stehen die Gondelbahnen erst einmal still: Die Ostschweizer Bergbahnen bereiten sich auf die Wintersaison vor. Ab Dezember hoffen sie auf weisse Flocken und dichte Schneedecken.

Christian Baumgartner, Professor für Nachhaltigen Tourismus and der Fachhochschule Graubünden.
Christian Baumgartner, Professor für Nachhaltigen Tourismus and der Fachhochschule Graubünden.Bild: zvg

Die Klimakrise produziert Verlierer

Allerdings sind «die Ostschweizer Regionen je nach Höhenlage massiv von den Folgen der Erderhitzung betroffen», sagt Christian Baumgartner, Professor für Nachhaltigen Tourismus an der Fachhochschule Graubünden in Chur. «Tiefer liegende Regionen sind Verlierer-Regionen».

Der Job von Bergbahnbetreibenden sei daher knifflig: Die Reiseentscheidungen der Gäste aus dem deutschsprachigen Raum werden «immer kurzfristiger, abhängig von der Wetterlage», sagt Baumgartner. Und während sich die Reiseperiode im Sommer verlängere, verkürze sie sich im Winter auf die Nachweihnachts- oder sogar Nachneujahrszeit, weil der Schnee spät fällt. Zudem werde «deutlich weniger Zeit auf der Piste verbracht», da immer mehr Gäste einen Tag in einer Therme einlegen.

Der Tourismusexperte warnt vor überholten Strategien: «In den 1960er- und 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts haben alle eine Piste und einen Lift gebaut, die einen Berg haben. Das ist zunehmend passé.» Aber auch neueste Gegentrends kritisiert Baumgartner: Heute baue jeder eine Aussichtsplattform oder eine Hängebrücke. «Damit macht man sich austauschbar, das wird nicht funktionieren.»

In einigen Skigebieten müsse man zudem weniger über zu wenig Auslastung nachdenken als vielmehr über Wachstumsgrenzen. Der Professor stellt die Gretchenfrage:

«Wie schafft man es, dass die Gäste länger bleiben und pro Tag mehr Geld für weniger umweltbelastende Aktivitäten ausgeben?»

Baumgartner empfiehlt, eine «unverwechselbare Story» zu entwickeln und diese in touristische Angebote zu verpacken: «Das kann ein spezielles Handwerk sein, eine Kulturgeschichte oder eine besondere Küche.»

Die Bergbahnen Pizol sind wetterabhängig, aber klimaentspannt

Jürg Schustereit, Marketingchef der Pizolbahnen.
Jürg Schustereit, Marketingchef der Pizolbahnen.Bild: zvg

«Viele Bergbahnen in der Ostschweiz», sagt Jürg Schustereit, «sind da gut aufgestellt». Der Marketingleiter der Pizolbahnen nennt Wanderberge, Familienerlebnisberge und Aussichtsberge. Schustereit bereitet die Klimakrise kein Kopfzerbrechen. Von dessen Folgen, den wärmeren Sommern, profitierten sie sogar, da immer mehr Gäste die Sommerfrische in den Bergen suchten.

Parallel zum Sommer diversifizieren die Pizolbahnen das Winterangebot: Heute winterwandert, schlittelt und schneeschuhläuft es sich an immer mehr Berghängen. Mit dieser breiten Angebotspalette ist sich Schustereit sicher: «Auch wenn es im Tal weniger Schneetage gibt, bleibt die Faszination ‹Winter› bestehen.» Und so schwierig das Wintergeschäft geworden ist, es bringt immer noch viel mehr Geld ein als im Sommer.

Derzeit kursierten ihm «zu viele negative Klimaszenarien». Der Zukunft des Schneesports blickt er optimistischer entgegen. Die Skibegeisterung bleibe hoch und «im Jahr 2100 wird weiterhin Ski gefahren», sagt Schustereit. Gerade die Nordhänge am Pizol sorgten für etwas mehr Schneesicherheit.

Im Toggenburg strahlt die Zuversicht

Alex Singenberger, Marketing & Verkauf Toggenburg Bergbahnen AG.
Alex Singenberger, Marketing & Verkauf Toggenburg Bergbahnen AG.Bild: zvg

Doch: Wie lange können die Schneekanonen noch die Pisten beschneien? Alex Singenberger sagt: «Noch lange». Er leitet das Marketing der Toggenburg Bergbahnen AG und bezieht sich auf eine Fallstudie der ETH Zürich. Die zeigt: «Auch in Zukunft ist eine technische Beschneiung im oberen Toggenburg möglich. Das Skifahren stirbt in unserer Höhenlage nicht einfach aus», sagt Singenberger. Leicht werde es nicht, sich an die Erderhitzung anzupassen, «aber die Herausforderungen haben wir sowieso, weil wir mit dem Wetter arbeiten».

Die Toggenburg Bergbahnen profitierten von ihrer Höhenlage: Die Schneefallgrenze sei meist auf rund 1400 Metern gelegen. Darüber, wo die Toggenburger Langlaufloipen und Pisten liegen, fiel massiv viel Schnee, darunter kaum etwas.

Der Anpassungsdruck für Bergbahnunternehmen steigt

Hinter Singenberger liegt ein enttäuschender Herbst. Der goldene Oktober bleibt aus, das Herbstgeschäft ist bescheiden. Trotzdem lobt er die Neuausrichtung des Unternehmens hin zu einem Ganzjahrestourismus: «Auf dem Chäserrugg haben die Gäste das ganze Jahr über etwas zu erleben.» Neu sind ein Detektivweg, ein Park für Frisbee-Golf und Fahrten mit Trottinetts.

Singenberger weiss, dass nicht alle Unternehmen ihren Betrieb derart umkrempeln können: «Wenn Sie einen Sessellift auf 900 Metern betreiben, gibt es grössere Herausforderungen.» Gemäss Informationen des Branchenverbands Seilbahnen Schweiz verfügt schweizweit jede vierte Bergbahn über eine ungenügende Kapitalrendite. Letztlich führe kein Weg daran vorbei: Ein Bergbahnunternehmen müsse sich mit dem Klima wandeln, sagt Singenberger. «Zu denken, alles könnte so bleiben wie vor 20 Jahren, wäre fahrlässig.»

Mit einem «neuen Pistenangebot» zielt er auf Zürich, Bern und Co.: «Die Stimmung in den Städten ist entscheidend. Wenn es winterlich ist, kommen die Leute zum Skifahren.» Er denkt laut über einen Shuttle-Service nach. Damit will er den Wintertourismus beflügeln, von dem auch Sportgeschäfte, Ferienwohnungen und Hotels profitierten. Der Skipass sei nur ein kleiner Teil der gesamten Wertschöpfung.

Zukünftig zielen immer mehr Kanonen auf die Piste

Um genug beschneien zu können, rüsten die Ostschweizer Skigebiete massiv auf. So ergänzen allein die Pizolbahnen mit knapp 60 neuen Schneekanonen, genauer: Schneilanzen, ihr Arsenal. Nach Unternehmensangaben sollen die Hauptpisten zukünftig auf 30 Metern Breite mindestens einen halben Meter Schnee tragen. Die Pizolbahnen nennen ihr «mehrheitlich energieeffizientes» Konzept «Beschneiung 4.0». Die Devise: In künstliche Beschneiung investieren – und hoffen.

Der neu entstandene Niedrigwasserbereich am Speichersee auf dem Pizol soll Sommergäste anlocken.
Der neu entstandene Niedrigwasserbereich am Speichersee auf dem Pizol soll Sommergäste anlocken.Bild: zvg

Der dafür vorgesehene Speichersee soll in Notlagen auch Trinkwasser spenden und zukünftig als Stromquelle dienen. Den See und andere Infrastrukturen «inszeniere» man ausschliesslich «sanft», sodass sich etwa der neue Niedrigwasserbereich inklusive Selfie-Steg, auf «natürliche Weise in die hochalpine Landschaft integriert».

Am Flumserberg hat man sich früh angepasst

Katja Wildhaber, Marketingleiterin der Bergbahnen Flumserberg AG.
Katja Wildhaber, Marketingleiterin der Bergbahnen Flumserberg AG.Bild: zvg

Auch die Bergbahnen Flumserberg AG bekümmert die Klimakrise nicht. Dafür seien die Flumserberge noch «recht schneesicher». Ausserdem habe das Unternehmen bereits vor 15 Jahren erkannt, dass sie «die schneefreie Zeit aktivieren müssen», sagt Marketingchefin Katja Wildhaber.

Konkret entstand ob dem Walensee das, was Wildhaber als «Spassgaranten» bezeichnet: Eine Rodelbahn, ein Kletterturm und ein Bikerberg. Wie überall auch solle sich der Flumserberg zu einer Ganzjahresdestination mausern, «in der für die intakte Natur als wichtigstes Gut Sorge getragen wird».

Skifahrer auf dem beschneiten Maschgenkamm in Flumserberg nach einer schneearmen Periode im Januar 2023.
Skifahrer auf dem beschneiten Maschgenkamm in Flumserberg nach einer schneearmen Periode im Januar 2023.

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