Ruedi König und seine Frau Isabelle machen selten gewöhnliche Roadtrips, sondern sind auf einer Mission: Sie retten Rösser, Kühe und Alpakas vor dem Tod. Ihre jahrelange Erfahrung und die Liebe zu den Tieren lassen sie einen kühlen Kopf bewahren. Eine Reportage.
Die Hitze lässt die Luft über dem Thurgauer Asphalt flirren. Ross-Urin tropft aus einem Schacht des 18-Tonnen-Wagens auf den Tankstellenboden. In der Führerkabine riecht es nach Stroh und Dung. Ruedi König öffnet die Autotür, springt die Stufen herab und steckt gleich zwei Tankstutzen in den Schlund seiner umgebauten XXL-Grosstier-Ambulanz: «Da geht viel Most rein», sagt er lachend.

Die Hefenhausener Ruedi und Isabelle König sind seit 14 Stunden unterwegs. Mit der neunjährigen Tochter Julia sind sie von ihrem Ferienort in Südfrankreich durch die Nacht gefahren. Im Gepäck haben sie nicht nur Luftmatratze und Sonnenschirm, sondern auch ihren Hund und fünf Rösser.
Teamarbeit, um Schmerzen zu lindern
Die Königs retten für den Schweizer Grosstier-Rettungsdienst (GTRD) ehrenamtlich Tiere, vor allem verletzte Rösser, Kühe, Schafe, Ziegen und Alpakas. Der GTRD verhalte sich wie die Rega oder der Notruf 144, nur retteten sie eben keine Menschen. Die Königs sind Mitglieder der Organisation, die sich durch ihre Einsätze und Spenden finanziert.
Und sie bilden eine Ausnahme, was an ihrem Fahrzeug liegt: Nur wenige können derart schnell und kostengünstig einen privaten Wagen für die Tierrettung umbauen. Für den GTRD wurde das Ehepaar König mit der Zeit unverzichtbar, weil sie jederzeit schnell und gut ausgerüstet an einem Unfallort in der Ostschweiz sein konnten.
Schwer beladen dauert es eine Weile, bis der Wagen mit einem zusätzlichen Anhänger im Schlepptau ausrangiert ist und gen Hefenhausen zuckelt. Die fünf Rösser, die sich hinten auf das saftige Gras ihrer Koppel freuen, sind unverletzt: Das Ehepaar tut Bekannten einen Gefallen.
Ruedi König erklärt: «Meine Frau arbeitet als energetische Therapeutin mit Mensch und Ross und ich bin Drechsler.» Die Aufgabenverteilung sei somit einfach: «Ich bin für die technische Bergung zuständig, meine Frau für die Nähe zum Ross und das Medizinische.» Ihre Tochter ruft vom Rücksitz: «Und ich will Tierärztin werden!»
Im Notfall bringt Ruedi König Flaschenzüge oder ein Netz an der Decke an. Auf diese Weise kann ein Ross sein Bein ausstrecken, damit die Tierärztin es eingipsen kann. Der Weg ins Tierhospital ist geebnet, die Heilungschance grösser. «Kollateralschäden» wie der Gnadenschuss werden so oft überflüssig: «Mit unserer Erfahrung und unserem Spezialequipment holen wir die Tiere aus den Güllelöchern heraus», sagt Ruedi König.
Die Fahrten sind wie Tänze um rohe Eier herum
Im Wagen sind die Tiere vor Erschütterungen geschützt. Das ist wichtig, denn «die Rösser mit Fissuren oder Frakturen können ein Schlag bekommen und dann ist es unter Umständen nicht mehr heilbar», sagt er. Währenddessen lenkt seine Frau den Wagen sanft um eine Kurve. Leiden die Tiere unter Nervenentzündungen oder Halswirbelproblemen, müssen sie stabil stehen, meist begleitet sie eine Person und betreut sie bis zum Tierspital.
Das Problem: Fahren die Königs im Schritttempo in den Kreisel, zeigten viele Leute kein Verständnis und drückten ihren Unmut mit einem Hupkonzert aus. Genau deswegen sammeln sie nun Geld für Drehlichter, die die Gemüter beruhigen und über die heikle Fracht aufklären sollen. Etwas unter 10’000 Franken soll es kosten, das Licht zu installieren.
An diesem Freitagvormittag hupt niemand, die Strassen sind recht leer. Als Isabelle König in ihren Hof einfährt, muss es schnell gehen: Da ein Team vom Grosstierrettungsdienst im Kanton Zürich bereits im Einsatz ist, stehen sie und ihr Mann auf Abruf bereit.
Schweizweit fährt die Grosstierrettung über 600 Einsätze im Jahr. Allein mit ihrem Wagen rückten die Königs 2024 bislang 40 Mal aus. «So lange wir helfen können, das Tier schmerz- und stressfrei in die Klinik zu bringen, machen wir das», sagt Isabelle König.

Ihr Motor ist die Tierliebe
«Wir machen all das dem Tier zuliebe», sagt Ruedi König. Er ergänzt: «Von klein auf hatten wir Esel, dann Rösser – und bei einer Feuerwehrübung habe ich dann vor Jahren die Grosstierrettung kennengelernt.» Wäre er nicht mit den grossen Säugern gross geworden, wäre er wohl nie Tierretter geworden, sagt König. Heute erlaube ihm nur die gut geölte Maschinerie seines Drechsler-Teams die ständigen Einsätze mit dem Spezialwagen.

Auch sein eigenes Ross sei im Schlamm bereits abgestürzt. Er vermutet, dass es an einem epileptischen Anfall litt. Zwar verstarb das Ross später, konnte jedoch zunächst heil mit dem Heli ausgeflogen werden. König merkte damals: «Diese Interventionen liegen mir.»

Die Rösser scharren mit ihren Hufen. Er führt sie an ihrem Halfter nach draussen und räumt die Heuballen aus dem Wagen. Seine Frau mistet aus, shampooniert den Boden und wäscht ihn mit einem Dampfstrahler. Tochter Julia packt mit an, karrt Schubkarre um Schubkarre Mist hinfort.
Weil jedes Ross anders ist, braucht es den prüfenden Blick ihrer Mutter. Erreicht Isabelle König die Unfallstelle, muss sie einschätzen, ob das Tier in Panik verfällt und damit sich, Heliflieger, Feuerwehrkraft oder Tierärztin gefährdet: «Mit Kühen ist es unproblematischer als mit Pferden», sagt ihr Mann.
Die Grosstierrettung entlastet Einsatzkräfte

Der Radius der Königs ist gross. Sie dürfen auf Einsätze im Ausland fahren, nach Liechtenstein, Deutschland, Österreich oder Frankreich. Der GTRD arbeitet eng zusammen mit Tierärztinnen, Feuerwehren und Helikopter-Unternehmen. Fällt eine Kuh in ein Gülleloch, kann die Feuerwehr die Situation entschärfen, bis die Grosstierrettung «mit Material und Know-how kommt», sagt Ruedi König. Schon auf der Anfahrt weisen sie oft die Einsatzkräfte an, was wo und wie zu tun sei.
Damit verschaffen sie den Tierärzten Zeit und entlasten die Feuerwehr: «Die haben sowieso schon so viel zu tun», sagt König, der selbst Atemschutzoffizier bei der Feuerwehr ist. Ausserdem müssten Ärztinnen lediglich den Menschen kennen, Tierärzte jedoch «vom Vogel bis zum Schaf alle Tiere», sagt er.
Sie berichten von bewegenden Bergungen
Neben den Heuballen setzt sich Ruedi König in den Schatten seiner Scheune. «Einmal», erzählt er, «haben wir ein sieben Monate altes Fohlen aus Norddeutschland geholt. Sein Bein war gebrochen. Die Besitzerfamilie habe sich geweigert, das Ross einzuschläfern. «Ich wusste: Wir können da was machen. Wir haben Julia früher aus der Schule geholt und sind losgedüst», sagt König.

Heute ist das Fohlen wohlauf und die zwei Familien in Freundschaft verbunden. Fruchtet der Spendenaufruf und das Drehlicht kommt auf das Dach, bekomme ihr Wagen nach guter alter Feuerwehrtradition einen Namen: ‹Tjaldur› soll er heissen, der Name des geretteten Islandpferdes.
Die Familie muss jedoch auch Tiefpunkte verkraften, sagt Ruedi König: «Bei Wil lag mal ein Ross tot in seinem Futtertrog.» Das Tier habe panisch so wild um sich geschlagen, dass es in seinem eigenen Blut starb. «Die Besitzerin hat das sehr mitgenommen», sagt König. Und seine Frau ergänzt: «Umso wichtiger war es, das Tier ehrenhaft aus dem Stall zu holen, auch wenn es schon gestorben war. Wir geben immer unser Bestes, die Tierwürde zu bewahren.»
